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Warum multikultureller Gemeindebau?

Seit Herbst 2021 wohnen wir in einem sozialen Brennpunktviertel im Ruhrgebiet. Als Ehepaar gründen wir dort eine multikulturelle Gemeinde. Wenn wir uns treffen, kommen schon jetzt vier bis fünf verschiedene Nationalitäten zusammen. Wir haben recherchiert, dass dort über 60% der Bevölkerung eine andere Staatsangehörigkeit haben. Daher war für uns klar, daß wir hier multikulturelle Gemeinde  bauen. Das bedeutet für uns Vielfalt zuzulassen, Versöhnung zwischen Volksgruppen zu leben und die sozialen Probleme im Stadtteil auf der Mikroebene anzugehen. Es braucht hier einen Ansatz der Menschen verschiedener Kulturen abholt und nicht einfach nur „typisch“ deutsch ist. 

In diesem Prozess sind wir auf Zahlen gestoßen, die ganz Deutschland betreffen: 

Zur Zeit haben etwa 26,7% der Bevölkerung in Deutschland einen Migrationshintergrund. In größeren Städten sind es sogar mehr: 36, 8 %.

https://www.bpb.de/nachschlagen/zahlen-und-fakten/soziale-situation-in-deutschland/61646/migrationshintergrund

Für mich bedeutet das: Migration ist nicht nur Thema für Berlin-Neukölln oder Duisburg-Marxloh. ALLE Gemeinden in urbanen Kontexten werden sich mit diesem Thema auseinander setzen müssen, um relevant zu bleiben.

Gemäß der gleichen Quelle haben 40% der Kinder unter fünf Jahren einen Migrationshintergrund! Es wird also in Zukunft immer mehr Menschen geben, die aus den unterschiedlichsten Kulturen kommen.

In der Flüchtlingswelle ab 2014 kamen oft Ängste auf. Da war Angst vor Überfremdung und vor Aggressionen oder Angst, dass sich alles nur noch um die Fremden dreht und man selbst zu kurz kommt. Und diese Gedanken gehen auch heute noch durch den Kopf von Menschen, die sich mit dem Thema „multikulturelle“ Gemeinde beschäftigen. Die Angst, dass es sich nicht mehr nach „meiner“Kultur und Identität anfühlt, ist da. Es ist gut, das ernst zu nehmen und darüber zu reden. 

Die Kinder, die in der oben genannten Statistik aufgeführt werden, werden in den nächsten Jahren eingeschult. In 10-15 Jahren werden sie Teenager sein. Wir sprechen von 40% der Bevölkerung! Mit diesem Bild vor Augen stellt sich die Frage: wie gestalten wir zukunftsfähige Gemeinde? So, dass sie auch für Menschen aus anderen Kulturen attraktiv wird – ohne unsere eigenen kulturelle Identität dabei aufzugeben? Oder verzichten wir darauf, einen beachtlichen Teil der Bevölkerung zu erreichen?

Es wird oft von einer „Jesus-Kultur“ gesprochen. Das wäre in diesem Zusammenhang auch ein brauchbarer Ansatz. Alle arbeiten gemeinsam an dem Ziel, Jesus ähnlicher zu werden. Wir bewegen uns gemeinsam auf Jesus zu und alle legen Dinge aus ihrer eigenen Kultur ab, die dem nicht entsprechen. Wir lernen voneinander. Auch die gastfreundlichste deutsche Gemeinde kann sich von der Gastfreundschaft der meisten anderen Kulturen noch eine Scheibe abschneiden – warum lernen wir nicht von ihnen? Wir folgen schließlich einem gastfreundlichen Jesus nach, der – unvorbereitet-  5000 Leute satt bekommen hat. Es gab sogar noch Reste!   

Unsere Kinder sind in einem Land im Nahen Osten aufgewachsen und haben aus der Kultur ihrer Eltern und ihres Gastlandes eine dritte Kultur geformt. Sie sind sogenannte „Third Culture Kids“ (Dave Pollock). Wer denkt, die multikulturellen Herausforderungen bestehen in der 2. und 3. Generation nicht mehr, hat da leider ein falsches Bild. Diese Generation bewegt sich zwischen den Kulturen und kommt auch mit beiden Kulturen klar. Doch sie wissen oft ziemlich genau, was sie aus welcher Kultur in ihr eigenes Leben integrieren wollen. Die internationalen Jugendlichen in deiner Gemeinde sind nicht genauso wie die anderen Jugendlichen. Fang an ihnen Fragen zu stellen! Du kannst viel von ihnen lernen. Viele von ihnen sind müde davon, sich immer anpassen zu müssen und würden gerne mehr von ihrer kulturellen Identität einbringen. Sie trauen sich aber nicht. Doch sie sind eine große Ressource für die Zukunft der Gemeinde: Eine Bereicherung nicht nur für den Esstisch, sondern für den Gottesdienst, die Gemeinschaft, den Zusammenhalt und die Jüngerschaft. 

So könnte es aussehen: Wir setzen uns mit Menschen aus verschiedenen Kulturen an den Tisch und höre ihnen zu. Wir lernen, wo unsere Gemeinde nicht so relevant ist, wie wir immer dachte, wo wir falsche Annahmen haben. Wir lassen sie mitgestalten. Sie planen Weihnachten und Ostern mit uns gemeinsam, sie bringen ihre Ideen ein. Sie sind Teil des Leitungsteams und bringen sich von vorne ein und nicht  nur von hinten. 

Am Ende entsteht eine Gemeinde, die etwas weniger deutsch aber nicht fremd sein wird und die Jesus ähnlicher und facettenreicher ist. Diese Gemeinde wird viel mehr Menschen ansprechen! Wir können uns so gegenseitig bereichern und nehmen einander nichts weg!

Iris und Jörg Schültzke, interkulturelle Gemeindegründer

 

Quellen: Pollock, David C., u. a. Third culture kids: Aufwachsen in mehreren Kulturen. 3. Aufl, Francke, 2014.

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